DS2009 - PREVIEW

Datenspuren 2009
Hands off - Privacy on

Referenten
Helga Huppertz
Programm
Tag Sonntag - 2009-10-04
Raum Großer Saal
Beginn 17:00
Dauer 01:00
Info
ID 3380
Veranstaltungstyp Vortrag
Track Gesellschaft
Sprache der Veranstaltung deutsch
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Trotz Aufklärung nichts zu verbergen?

Wenn Aufklärung allein nicht ausreicht - ein Plädoyer für Usability im digitalen Selbstschutz

Keine Frage: Die Aufklärung über Stasi 2.0, über die Erosion von Grundrechten, Überwachungswahn, Datensammelwut und Zensur ist eine Erfolgsgeschichte. Durch verständlich, sachlich und einleuchtend vorgebrachte Argumente konnten viele Menschen überzeugt und mobilisiert werden. Dies zeigen beispielsweise die Teilnehmerzahlen an Demonstrationen, Kundgebungen und an der alle Rekorde brechenden Netzsperren-Petition.

Dennoch haben alle, die aufklärend unterwegs sind, auch schon dieses erlebt: Das Gegenüber folgt unserer Argumentation, stimmt zu, illustriert die Problematik gar mit Beispielen eigener Betroffenheit von Datensammelwut oder Überwachungswahn - und hangelt sich schließlich über abenteuerliche gedankliche Winkelzüge auf die Position "Ich habe nichts zu verbergen" zurück. Was geht in Menschen vor - vernunftbegabten Wesen [1] etwa aus unserem Arbeits-, Wohn- oder Familienumfeld -, die trotz besseren Wissens bekunden, nichts zu verbergen zu haben? Müssen wir tatenlos zusehen, wie sie ihre Daten weggeben und widerstandslos auch die nächsten Ausbaustufen von Vorratsdatenspeicherung und Zensur hinnehmen?

Das interdisziplinäre Forschungsgebiet der HCI (Human-Computer Interaction) befasst sich nicht nur mit der benutzergerechten Gestaltung (Usability) von Computersystemen, sondern ergründet auch, woran es liegt, wenn Menschen nicht oder nicht gut mit Systemen zurecht kommen und diese ablehnen. Konzepte, Methoden und Modelle der HCI - die neben technischen Fachdisziplinen auf Erkenntnissen aus Psychologie und Soziologie aufbauen - lassen sich vorzüglich verwenden, um die Reflexe und Rezeptionsmuster zu interpretieren, die uns bisweilen von Nichts-zu-verbergen-Habern entgegenschlagen. Weiterhin sind sie geeignet, die Ansätze für politisches Handeln über Aufklärung hinaus zu erweitern, und können Wege aufzeigen, den Kreis derer, die sich gegen die fortschreitende Beschneidung von Grundrechten zur Wehr setzen, weiter zu vergrößern.

Aufklärung über die mannigfaltigen Bedrohungen digitaler Bürgerrechte bewirkt im besten Fall dreierlei: erstens Sensibilisierung für Selbstschutz; zweitens Mobilisierung zu politischem/gesellschaftlichem Engagement; und drittens die Vervielfältigung von Aufklärung, einen Schneeballeffekt. Es ist aber bereits der erste Punkt, der manchen Menschen (zu) viel Kopfzerbrechen bereitet: Wer auf die Notwendigkeit digitalen Selbstschutzes gestoßen wird und nicht über die dafür benötigte Technik- und Medienkompetenz verfügt, ist zunächst einmal überfordert und reagiert mit einem Abwehrreflex. Entlastungsbehauptungen wie "Ich habe nichts zu verbergen" oder "Die interessieren sich doch nicht ausgerechnet für mich" lassen sich mit der aus der Sozialpsychologie stammenden Theorie der kognitiven Dissonanz schlüssig erklären.

Unsere Aufklärung stößt hier an psychologische Grenzen. Menschen, die mit aktivem Selbstschutz überfordert sind und sich in solche Entlastungsbehauptungen "retten", werden nicht für die Verteidigung digitaler Bürgerrechte aktiv werden. Und das, obwohl ihnen die Argumente zunächst durchaus einleuchten. Schlimmer noch: Diese Menschen wären womöglich relativ leicht für eine Internet-"Sicherheit" mit eingebauter Überwachung, Backdoor und Zensur als staatliches Rundum-Sorglos-Paket zu begeistern.

Dies ist ein Plädoyer für Usability im digitalen Selbstschutz. Denn um mit unserer Aufklärung Menschen zu mobilisieren, die heute noch vor den Implikationen zurückschrecken, gibt es nur zwei Stellschrauben: Erstens kann sich durch Erhöhung der Technik- und Medienkompetenz in der Gesellschaft die Zahl derer erhöhen, die mit uns der weiteren Beschneidung von Grundrechten entgegentreten. Dazu ist allerdings zu sagen, dass es selbst mit der Technik- und Medienkompetenz, die Jugendliche heute an Schulen lernen, nicht sehr weit her ist. Deshalb halte ich die zweite Option für besonders wichtig: digitaler Selbstschutz muss einfacher werden. Wir brauchen Lösungen, die für viel breitere Kreise, auch für relativ unbedarfte Anwender, handhabbar sind. Nicht als Rundum-Sorglos-Paket, aber doch immerhin als Befähigung zur selbstverantwortlichen (digitalen) Verteidigung wertvoller Grundrechte. Und als Immunisierung gegen andere (s.o.) sogenannte Rundum-Sorglos-Pakete.

An diesem Punkt scheint eine politische Dimension von Usability auf. Nehmen wir zum Beispiel GPG. Den meisten Menschen leuchtet der Vergleich "unverschlüsselt = Postkarte, verschlüsselt = mit Briefumschlag" unmittelbar ein; spontan ist vielen die Vorstellung, "mit Briefumschlag" zu kommunizieren, angenehm. Um dies umzusetzen, müssen sie sich allerdings einer Schulung unterziehen und sich mit mentalen Modellen (wie privaten und öffentlichen Schlüsseln) auseinandersetzen, die in der realen Welt keine konsistente Entsprechung haben [2]. Tatsache ist: die Zahl der GPG-Anwender ist trotz breiter Aufklärung nicht sprunghaft gestiegen. Und damit auch nicht die Zahl derer, die, sollte man ihnen eines Tages die Verwendung von GPG verbieten wollen, auf die Barrikaden gehen.

Der Vortrag gibt eine kurze Einführung in Konzepte, Methoden und Modelle der HCI und stellt Grundregeln der Usability vor. Vor diesem Hintergrund werden beispielhaft verschiedene Hürden und Mängel [3] analysiert, an denen Personen, die über wenig Technik- und Medienkompetenz verfügen, im digitalen Selbstschutz scheitern, und einige Ansätze zur Verbesserung des Status Quo diskutiert.

[1] Beratungsresistente Politiker oder mutwillig Unwahrheiten wiederholende Demagogen sind nicht Gegenstand dieser Betrachtung.

[2] Nur mit konsistenten Analogien und realweltlichen Metaphern kann es gelingen, Benutzungsschnittstellen "intuitiv" zu gestalten, d.h. Hürden wie Schulungsbedarf zu minimieren.

[3] HCI ist parteilich. Es gilt die Prämisse, dass im Fall von Interaktions-Problemen nicht der Mensch, sondern das System, mit dem er arbeitet (oder arbeiten soll) einer Optimierung bedarf.