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Pizzabestellung 2015 und der Große Bruder

(Aus dem Netdigest)

From: "Hans-Peter Popowski"
Newsgroups: de.etc.beruf.selbstaendig
Subject: Pizzabestellung im Jahr 2015 und der Große Bruder
Date: Fri, 16 Jan 2004 04:48:45 +0100
Message-ID: bu7n7s$4kk$01$1@news.t-online.com

"Hans-Peter Popowski" schrieb:

Hallo,
Pizzamann: "Danke, dass Sie Pizza Hut angerufen haben. Kann ich Ihre..."

Kunde: "Hi, ich möche etwas bestellen."

P: "Kann ich bitte erst Ihre NIDN haben?"

K: "Meine Nationale ID Nummer, ja, warten Sie, die ist 6102049998-45-54610."

P: "Vielen Dank, Herr Schwardt. Sie wohnen in der Rosenstraße 25 und Ihre Telefonnummer lautet 89 568 345. Ihre Firmennummer bei der Allianz ist 74 523 032 und Ihre Durchwahl ist -56. Von welchem Anschluss aus rufen Sie an?"

K: "Hä? Ich bin zu Hause. Wo haben Sie alle diese Informationen her?"

P: "Wir sind an das System angeschlossen."

K: (seufzt) "Oh, natürlich. Ich möchte zwei von Ihren Spezial- Pizzen mit besonders viel Fleisch bestellen."

P: "Ich glaube nicht, dass das gut für Sie ist."

K: "Wie bitte??!!"

P: "Laut Ihrer Krankenakte haben Sie einen zu hohen Blutdruck und extrem hohe Cholesterinwerte. Ihre Krankenkasse würde eine solche ungesunde Auswahl nicht gestatten."

K: "Verdammt! Was empfehlen Sie denn?"

P: "Sie könnten unsere Soja-Joghurt-Pizza mit ganz wenig Fett probieren. Sie wird Ihnen bestimmt schmecken."

K: "Wie kommen Sie darauf, dass ich das mögen könnte?"

P: "Nun, Sie haben letzte Woche das Buch 'Sojarezepte für Feinschmecker' aus der Bücherei ausgeliehen. Deswegen habe ich Ihnen diese Pizza empfohlen."

K: "Ok, ok. Geben Sie mir zwei davon in Familiengröße. Was kostet der Spaß?"

P: "Das sollte für Sie, Ihre Frau und Ihre vier Kinder reichen. Der Spaß, wie Sie es nennen, kostet 45 Euro."

K: "Ich gebe Ihnen meine Kreditkartennummer."

P: "Es tut mir leid, aber Sie werden bar zahlen müssen. Der Kreditrahmen Ihrer Karte ist bereits überzogen."

K: "Ich laufe runter zum Geldautomaten und hole Bargeld, bevor Ihr Fahrer hier ist."

P: "Das wird wohl auch nichts. Ihr Girokonto ist auch überzogen."

K: "Egal. Schicken Sie einfach die Pizza los. Ich werde das Geld da haben. Wie lange wird es dauern?"

P: "Wir hängen ein wenig hinterher. Es wird etwa 45 Minuten dauern. Wenn Sie es eilig haben, können Sie sie selbst abholen, wenn Sie das Geld besorgen, obwohl der Transport von Pizza auf dem Motorrad immer etwas schwierig ist."

K: "Woher wissen Sie, dass ich Motorrad fahre?"

P: "Hier steht, dass Sie mit den Ratenzahlungen für Ihren Wagen im Rückstand sind und ihn zurückgeben mussten. Aber Ihre Harley ist bezahlt, also nehme ich an, dass Sie die benutzen."

K: "@#%/$@§?#!"

P: "Achten Sie lieber darauf, was Sie sagen. Sie haben sich bereits im Juli 2006 eine Verurteilung wegen Beamtenbeleidigung eingefangen."

K: (sprachlos)

P: "Möchten Sie noch etwas?"

K: "Nein, danke. Oh doch, bitte vergessen Sie nicht, die beiden kostenlosen Liter Cola einzupacken, die es laut Ihrer Werbung zu den Pizzen gibt."

P: "Es tut mir leid, aber die Ausschlussklausel unserer Werbung verbietet es uns, kostenlose Softdrinks an Diabetiker auszugeben."

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Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten

Das ist das Argument, mit dem der Chef die Überwachung seiner Angestellten rechtfertigt. Das ist der Satz, mit dem zehntausende Männer zur Abgabe einer Genprobe gedrängt werden - vorausgesetzt das Opfer ist prominent oder der Fall spektakulär genug. Das ist die Begründung für das letzte, das nächste und das übernächste Anti-Terror-Gesetz, die zentrale Speicherung von biometrischen Daten, die ausufernde Rasterfahnderei, den Zugriff auf Telekommunikations- und Bankdaten ohne Kontrolle durch die Justiz, die Aufhebung der Schranken zwischen Polizei und Geheimdiensten.

Wer nichts zu verbergen hat, hat also nichts zu befürchten?

Leider sieht die Realität anders aus. Wer etwas befürchtet, macht sich dadurch automatisch zum Verdächtigen. Die Trennung zwischen verdächtig und unverdächtig, zwischen schuldig und unschuldig wird aufgehoben, die Beweislast umgekehrt. Sie möchten keine Speichelprobe abgeben? Kein Problem, wo waren Sie denn an dem besagten Abend? Kann das jemand bestätigen?

Das Recht auf Privatsphäre schützt einen Menschen auf verschiedenen Ebenen.

Es beschränkt die Macht des Staates, gegen bestimmte Arten von Handlungen, beispielsweise politische Opposition, vorzugehen. Es schützt außerdem den Einzelnen als Mitglied der Gesellschaft. Täglich sagt oder tut fast jeder von uns Dinge, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen, betreffe es die sexuellen Vorlieben, die Finanzlage, die Bewerbung aus ungekündigter Stellung oder den Streit mit dem Ehepartner.

Die Weiterentwicklung der Technik hat dazu geführt, dass immer weitere Bereiche unseres Lebens im virtuellen Raum abgebildet werden; die dort veröffentlichten, verbreiteten und gespeicherten Informationen werden immer vielfältiger. Unter Zuhilfenahme der neuen Technologien zum Durchsuchen und Verknüpfen von Daten ließe sich mit dem so entstandenen Datenpool viel Geld verdienen, insofern ist das Verhalten vieler Wirtschaftsunternehmen nicht verwunderlich und lässt sich mit einer Art pawlowschem Reflex erklären. Aber auch bei den Sicherheitsorganen scheinen die Wünsche in Bezug auf Auswertung vorhandener und Erfassung neuer Daten wesentlich schneller zu wachsen als das Bewusstsein für das damit verbundene Missbrauchspotential.

Nach der Logik der Sicherheitspolitiker, die mit immer neuen Überwachungsexorzismen die Teufel des 11. September zu vertreiben suchen, ist jeder Einzelne ein Risikofaktor, den es zu kontrollieren gilt. Immer weniger Beachtung wird dabei der informationellen Selbstbestimmung, der Freiheit und der Würde jedes Menschen geschenkt. Aber wir sollten nicht vergessen: In einem maßlosen Staat kann es vielleicht mehr Sicherheit geben, aber sicher auch immer weniger Freiheit. Insofern hat jeder etwas zu befürchten.

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Einführungstext

"Öffentlich Daten nützen, private Daten schützen" proklamierte der Chaos Computer Club Ende der 80er Jahre. Seitdem nimmt die Nutzung von Computertechnik im Alltag ständig zu - Technologie, die auch personenbezogene Daten erfasst, weiterverarbeitet und vorrätig speichert. Jeder zieht eine Spur von Daten hinter sich her, egal ob er sein Handy einschaltet, Webseiten besucht, E-Mails schreibt, mit dem Flugzeug fliegt oder bargeldlos bezahlt. Die Verknüpfung all dieser Informationen gibt Behörden und Industrie die Möglichkeit den gläsernen Menschen zu schaffen.

Dieser Entwicklung stehen eine Reihe von Bürgerrechten und Gesetzen gegenüber. Zuallererst ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu nennen, das seit dem Volkszählungsurteil von 1983 die Grundlage des Datenschutzes in Deutschland bildet. Danach darf jeder Bürger selbst festlegen, wem er seine persönlichen Daten zur Verfügung stellt. Da das Wissen um die Bedeutung dieser Rechte in einer Demokratie elementar für deren Wahrnehmung ist, formieren sich zunehmend Organisationen, die auf unterschiedlichste Weise Aufklärungsarbeit leisten. Ein prominentes technisches Beispiel hierfür ist das Projekt Anon zur Anonymisierung von Zugriffen auf das WWW, an dem die TU Dresden als wichtiger Partner beteiligt ist.

Der Chaostreff Dresden lädt 20 Jahre nach dem "Orwell-Jahr 1984" zu einem Symposium ein, auf dem wir das Thema gemeinsam mit Ihnen und unseren Referenten diskutieren möchten. Sie sind herzlich eingeladen, die Kehrseite einer Medaille kennen zulernen, die jeder von uns längst trägt und der wir uns nicht mehr entziehen können. Lernen Sie mehr über Überwachung und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und erfahren Sie, was Sie konkret zur Wahrung Ihrer Rechte beitragen können.

Willkommen sind wie immer alle selbst denkenden Wesen. Der Eintritt ist frei.

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